Erdbeben, Flugzeugabsturz? – Nein, ein spektakulärer Dacheinsturz!

«Es war, wie wenn ein Jumbo-Jet über der Stadt starten würde.» So schilderte Stadtpolizist Peter Straumann, der nur knapp hundert Meter von der Stadtkirche entfernt arbeitete, seinen Eindruck von dem Ungeheuerlichen, das am 8. April 1981 kurz vor Mitternacht um 23.28 Uhr passierte: Völlig unerwartet war der Dachstuhl der Kirche eingestürzt, dabei wurde die Stuckdecke, das bereits restaurierte südliche Mittelschiffwand und das angrenzende Seitenschiffdach zerstört. Altstadtbewohner glaubten an ein Erdbeben oder einen Flugzeugabsturz, «und manche der später alarmierten ‹Offiziellen› hielten die Meldung sogar für einen verspäteten Aprilscherz.»

Während Polizist Straumann die Feuerwehr alarmierte, wachte Pfarrer Rudolf Weber auf ob einem Geräusch, das sich anhörte, «als würde jemand eine Ladung Kies über ein Wellblech kippen». Zur gleichen Zeit pflegten die Mitglieder der Zofinger Bibliothek- und Museumskommission (BMK), nach einer Sitzung in der ehemaligen Lateinschule, noch das gemütliche Beisammensein im «Raben», als «als wie der berühmte Blitz aus dem heitern Himmel ‹Raben›-Wirtin Hedwig Burkhalter-Kuhn völlig aufgelöst ins Lokal gerannt kam und mit sich überschlagender Stimme immer und immer wieder rief: ‹Die Kirche brennt, die Kirche brennt ...! » Worauf die gesamte BMK-Kommission «Feldschlösschen Feldschlösschen und Coci Coci» sein liess und Richtung Kirche rannte «und wir alle trauten unsern Augen nicht: Langsam stürzte das Dach des Mittelschiffs der Stadtkirche unter lautem Quietschen und Ächzen in sich zusammen.» Ihre Reaktion angesichts dieser Katastrophe war die folgende: «Wie versteinert standen wir im wahrsten Sinne des Wortes neben den Schuhen – wir konnten und wollten es einfach nicht glauben, was wir zu sehen und zu hören bekamen. Völlig wirr gingen die verschiedensten Gedanken durch die BMK-Köpfe, und sie blieben dabei immer wieder bei unserm Kommissionsmitglied Stadtpfarrer Rudolf Weber hangen. Die Stadtkirche war nicht nur Freund Ruedi Webers ‹Arbeitsplatz›, sondern der um die Stadt Zofingen und ihre Bevölkerung hochverdiente Ehrenbürger war auch Präsident der Baukommission für die Gesamtrestaurierung der Stadtkirche.»

Es rückten «Angehörige der Stützpunktfeuerwehr, der Stadt- und der Kantonspolizei sowie des Stadtwerkhofs an und sorgten für eine mustergültige Absperrung. Da am Donnerstag, 9. April 1981, der Monatsmarkt fällig war, wurden die im Bereich der Stadtkirche aufgestellten Stände noch im Verlauf der Nacht auf den Niklaus-Thut-Platz disloziert. Der Architekt, der Ingenieur und weitere Fachleute klärten unverzüglich akribisch ab, ob weitere Einsturzgefahren bestanden, zum Beispiel des Turms - doch durften und konnten sie mit gutem Gewissen Entwarnung geben.»

Ein aussagekräftiges Dokument vom Dacheinsturz in der Nacht vom 8. April 1981© Stadtarchiv der Stadt Zofingen

Das Ausmass des Einsturzes wurde erst am anderen Morgen klar, aber wenigstens wurde dabei niemand verletzt: eine glückliche Fügung, dass der Einsturz in der Nacht geschah wer weiss, was passiert wäre bei einem Einsturz untertags, mit den in der Kirche arbeitenden Handwerkern!

In weiteren war glücklicherweise der Chor mit dem einzigartigen Sterngewölbe, den kostbaren spätgotischen Glasmalereien und dem vorreformattorischen Gestühl nicht betroffen!

Die Gründe für den Einsturz waren Fehler bei früheren Renovationen. Ein Expertengutachten der Denkmalpflege kam zum Schluss, dass dadurch bereits seit langem eine latente Einsturzgefahr bestanden hatte.

Der Wiederaufbau des eingestürzten Teils verursachte beträchtliche Mehrkosten innerhalb der finanziell bereits sehr aufwendigen Gesamtrenovation der Stadtkirche Zofingen zwischen 1976-87!

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Dass eine Kirche teilweise oder ganz einstürzt, ist allerdings weder neu noch ein Einzelfall. Abgesehen von Naturkatastrophen wie Erdbeben, Grossbränden, bewussten Zerstörungen und kriegerischen Einwirkungen wie Sprengungen, Granaten- und Bombenwürfe, Beschiessungen mit Kanonen oder schwerer Artillerie u.ä.m. kam es – wie bei der Stadtkirche Zofingen – immer wieder zu Einstürzen aus statischen Gründen, gerade in der Zeit der Gotik, als die Kathedralen zunehmend höher gebaut wurden. So etwa stürzte 1284 das Gewölbe der Kathedrale von Beauvais in Frankreich ein, 1322 brach in der englischen Kathedrale von Ely der Vierungsturm zusammen. Dasselbe passierte im 16. Jahrhundert (1549) bei der Kathedrale von Lincoln, ebenfalls Grossbritannien.

Berichte und Zitate aus:

  • «Decke und Dach des Langhauses eingestürzt», in: Zofinger Tagblatt vom 10. April 1981
  • «Wie wenn ein Jumbojet über Zofingen starten würde», in: Aargauer Tagblatt vom 10. April 1981
  • «Die Kirche brennt, die Kirche brennt ...!» Heute vor 30 Jahren – Das Mittelschiffdach der Stadtkirche Zofingen brach tosend zusammen», in: regiolive.ch vom 8. April 2011