Zur Technik der klassischen Glasmalerei

Glasmalerei ist selten das Werk eines Einzelnen. Beteiligt sind, neben dem Auftraggeber und allfälligen theologischen Beratern – in einem zumeist langen gemeinsamen Schaffensprozess und in enger Zusammenarbeit – der Künstler und ein oder mehrere Mitarbeiter einer Glaskunstwerkstatt. Dabei handelt es sich um eine Manufaktur, oft um einen Familienbetrieb mit hohem Qualitätsanspruch, Berufsstolz und dem Wissen um eine jahrhundertalte Kunsthandwerkstradition.

Hier in aller Kürze das Wichtigste zum hochkomplexen, oft langwierigen Arbeitsprozess und Werdegang von Glasmalerei, bei dem materialbezogene, technische, formale und künstlerische Aspekte gleichermassen berücksichtigt werden müssen.

Vom künstlerischen Entwurf zur kunsthandwerklichen Ausführung

Der Künstler überträgt seinen Entwurf (Umriss und die einzelnen Flächenpartikel) auf eine Pause, dann werden Schablonen für die einzelnen Gläser geschnitten und durchnummeriert. Anschliessend werden die gewünschten Farbgläser ausgewählt, zugeschnitten und in einem Rahmen, der den Massen des fertigen Fensters entspricht, provisorisch zusammengesetzt. Als Verbindung der Glasteile dient Bienenwachs, er wird aufgewachst (beim Zusammenfügen) und später abgewachst (beim Bereitstellen für den Brennprozess). In einem weiteren Arbeitsschritt trägt der Künstler in ein Lösungsmittel aufgelöstes Schwarzlot* (eine Eisen- und Kupferoxidmischung) auf, das (vergleichbar der ostasiatischen Tuschemalerei) sowohl grossflächiges Lasieren wie feinstes Zeichnen und zusätzliche Effekte wie Auskratzungen, Ausschabungen und Ähnliches mehr erlaubt. Der Auftrag von Silberlot* ermöglicht flächig-wolkige, strahlend gelbe bis goldene Hintergründe und Farbakzente. Nach der künstlerischen Bearbeitung werden die fertig bemalten Glasteile gebrannt, ein Prozess, der sehr viel Sorgfalt und Erfahrung verlangt. Erst wenn sich jedes einzelne Glasteil künstlerisch und technisch einwandfrei präsentiert, wird mit sogenannten Bleiruten* verbleit. Das fertige Fenster wird in einen festen Metallrahmen eingepasst und zum Schluss ins bestehende architektonische Rahmenwerk eingebaut.

Ein einzelnes Panneau* kann also aus vielen einzelnen Glasstücken zusammengesetzt sein, von denen jedes einzelne farblich ausgewählt, geschnitten und oft noch zusätzlich bearbeitet wird. Hinzu kommt, dass sich mit dieser hohen Anzahl der einzelnen Glasteile und -teilchen auch der Einsatz von Bleiruten* erhöht, die oft als zusätzliches gestalterisches und graphisches Element bewusst einbezogen und eingesetzt hat.

Das Masswerk im grossen Christusfenster der Stadtkirche Aarau von Felix Hoffmann (1943), welches die Namen der beteiligten Glashandwerker und den Künstlers nennt

Auf dem Bildbeispiel – das Masswerk* des grossen Christusfenster im Chor der Stadtkirche Aarau von Felix Hoffmann (1911–1975) – lässt sich exemplarisch folgendes zur Technik zeigen: die einzelnen Farbgläser, die Bleiruten, die die Gläser (physisch) zusammenhalten, Schwarzlotaufträge und Auskratzungen auf Schwarzlotflächen (die Schriften). Die Verbindungen der Einzelgläser mittels der Bleiruten sind sehr gut zu erkennen, im weiteren auf den Flügeln und Köpfen der drei Tauben feine Schwarzlotaufträge des Künstlers. Die Rücken wurden mit Schwarzlot eingefärbt und anschliessend die Inschriften ausgekratzt.

In diesen Inschriften hat der Künstler alle am Werk Beteiligten namentlich genannt, ihnen und ihrer Arbeit somit auch seine Referenz erwiesen:

  • Paul Wüthrich vom gleichnamigen Familienbetrieb und Glasmalereiwerkstatt in Bern
  • Konrad Vetter, Glasmaler in Bern
  • Felix Hoffmann selber als entwerfenden und ausführenden Künstler

Inschrift und Datum der Beendigung aller drei zentralen (neutestamentlichen) Ostfenster auf dem Rücken der mittleren Taube:
«ALLE 3 FENSTER VOLLENDET FEB. 1943 / IM 4. KRIEGSJAHR. ENTWURF UND MALEREI: FELIX HOFFMANN VON AARAU GEB. 1911 – DEN MITARBEITERN SEI GEDANKT.»

Inschrift auf dem Rücken der linken Taube:
«DIE GLÄSER SCHNITT IN VORZÜGLICHER WEISE: PAUL WÜTHRICH, BERN. GEB. 1899. – ER BESORGTE DIE VERBLEIUNG.»

Inschrift auf dem Rücken der rechten Taube:
«KONRAD VETTER GEB. 1922, BERN, HAT AUF- UND ABGEWACHST UND GEBRANNT.»

Kleines Glossar der Glasmalerei

  • Bleiruten: Doppel-T-förmige Bleistreifen, die sich aufgrund ihrer Weichheit leicht in jede gewünschte Form biegen lassen und die die Glasstücke im fertigen Fenster beidseitig einfassen, verbinden und fixieren.
  • Masswerk: Bauornament im oberen Bereich von gotischen Spitzbogenfenstern. Es wird ausgemessen («Masswerk»), gezirkelt und erscheint in vielfältigen geometrischen Grundformen als Teil des steinernen Mauerwerks.
  • Panneau: Einzelnes Fensterelement, das vertikal durch das seitliche Mauerwerk und, – bei mehrlanzettigen Fenstern –, durch eine oder mehrere Steinrippen und horizontal durch den einfassenden Metallrahmen begrenzt wird. Eine Bildszene kann aus mehreren Panneaux bestehen.
  • Schwarzlot: Metallfarbe für Glas, bestehend aus einem Metalloxid (Eisen- und Kupferoxid), einem Schmelzmittel und sehr fein zerriebenem Glas. Das Schwarzlot wird mit einem Lösungsmittel (Wasser, Essig oder Terpentin) angerührt und ermöglicht das Auftragen von Schwarz auf dem Glas von ganzflächigem Lavieren bis zum Zeichnen feinster Linien. Zur Fixierung muss Schwarzlot gebrannt werden.
  • Silberlot: Seit dem frühen 14. Jahrhundert gebräuchliche Farbe für Glas, um leuchtend gelbe bis goldene Akzente zu setzen. Silberlot wird üblicherweise an den Aussenseiten der Gläser aufgetragen.
  • Weissfenster: Fenster, deren Gläser ausschliesslich aus farblosem, unbemaltem Glas bestehen. Weissfenster dienen der zusätzlichen Lichtzufuhr in einen Innenraum. Auch an sich farbige Glasmalereien können Weissfensteranteile mit und ohne Schwarzlotauftrag enthalten.