Über die Lokalheilige Gisula und die «Gislikirche»

Ein Altar, welcher nachweislich der Lokalheiligen Gisula geweiht war, bedarf einer Präsentation der folgenden Legende:

«Einige Schritte abwärts von diesem Höhepunkte (der Gislifluh) nach Süden zeigen sich auf einem Vorsprunge Spuren eines ehemaligen Bauwerkes, das bis auf den Boden weggetilgt ist. Dies ist die alte Gislikirche. Dann geht der scharfe Grat auf der Rückseite des Berges mit jähen Felsenzinnen in ein engeres Tal nieder, worin (...) Thalheim und Veltheim liegen. Jede dieser beiden Ortschaften ist gleichfalls um ihre ehemalige Kirche gekommen, und jede schiebt den Grund hievon auf diese Gislifluh.

Thalheim erzählt dies so. Zwischen dem Unter- und Oberdorfe da­selbst liegt ein Weinberg, den man ‹das Häuptli› nennt. Seine Anhöhe hat eine Ebene, welche die Armen der Gemeinde mit Korn bebauen, weil es da am frühesten auszeitigt (reif ist). Hier hat ehemals ein heidnischer Tempel gestanden; die Knochen der Schafe und Ziegen, die man drinnen den Göttern opferte, hackt man bei der Feldarbeit noch häufig aus dem Boden. Dann kam ein fürchterliches Volk ins Land, zerstörte den Tempel und zog wieder ab. Bald darauf wollte man an seiner Stelle einen christlichen (Tempel bzw. Kirche) errichten, denn diese Gegend bekehrte sich früh zum Glauben, und der schön angelegte Häuptliplatz gefiel den Leuten besonders wohl; (...). Aber alles Bauholz, das man auf dem Häuptli gezimmert hatte, zog zwei Nächte hintereinander (...) zur Steig hinüber an den Fuss der Gislifluh. Dort baute man alsdann die alte Gislikirche. Aber noch einmal änderte darauf diese Gegend den Glauben (Reformation), und nun ist die Kirche verschwunden und von ihrem Namen nichts mehr übrig als die Gislimatt.

Das Dorf Veltheim weiss noch, dass droben auf den Flühen hinter seinem Gemeindewalde die heilige Gisla ihre Einsiedelei hatte und ihr Leben in frommer Beschauung zubrachte. Weil man damals noch fleissig in ihre Kapelle kam, so gab sie der Ortschaft eine eigene Kirche und bestellte dieselbe mit Pfarrern und Chorherren. Zuletzt wuchs Veltheim immer mehr, es wurde sogar ein mit Mauern umschlossenes Städtchen. Als aber auch hier die Zeit der Glaubensänderung kam und niemand mehr in die Kirche auf der Fluh hinauf gieng, hörte drunten die Pracht bald auf. Jetzt ist Veltheim wieder ein Dorf; von dem ehemaligen Chorherrenstifte Gisshübel ist nichts mehr übrig als einige Bauernhäuser, die man noch Pfaffenhäuser nennt; und seit man die Veltheimer Dorfkirche vor Jahren einmal gänzlich renovierte, hat auch ihr Name Gislikirche aufgehört.»

aus: Rochholz, Aargauersagen, Bd. 2, S. 280–292.

Eine 2004 verstorbene Frau aus Biberstein erzählte, dass sie sich noch gut an die Erzählungen ihrer Grossmutter über die heilige Gisela erinnere. Die Heilige soll jeden Sonntag von der Gislifluh nach Veltheim in die Kirche gegangen sein. Weil sie so fromm gewesen sei, habe sich die Kirchentüre jeweils ganz von selbst geöffnet. Im Alter musste sie sich schliesslich auf einen Stock stützen. Sie hatte den Stock einem Rebbauern aus dem Rebberg gestohlen. Von da an soll sich die Kirchentüre nicht mehr von selbst geöffnet haben.