Die Gruft der Familie Hallwil

In der alten Seenger Kirche befand sich ausserhalb der nördlichen Kirchmauer zwischen zwei Strebepfeilern die Begräbnisstätte der Familie von Hallwil. Sie bestand aus rohen Steinplatten und erhob sich nur etwa einen Meter über den Boden. Die Gruft wurde mit dem Abbruch der alten Kirche 1820 eingeebnet und liegt heute unter den Turmfundamenten.

Reinhold Bosch (1887–1973), Seenger Bürger und 1947–1960 erster Kantonsarchäologe des Kantons Aargau, schrieb über die Hallwilgruft: «Nach einem Bericht aus dem 18. Jahrhundert wird diese Gruft als unschön bezeichnet und mit einem Backofen verglichen. Sie hatte keinen Eingang, weshalb jedes Mal [wenn eine Bestattung anstand] das Gewölbe abgedeckt werden musste. Im 18. Jahrhundert war dieses eingesunken. Im Sommer 1779 liess nun Abraham Johannes von Hallwil, der Gemahl der Franziska Romana, in Gegenwart verschiedener Personen, unter denen sich auch Lavater [Johann Caspar Lavater (1741–1801), ein Zürcher Forscher der Aufklärung, der in seiner berühmten Schrift «Physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe», verschiedene Charaktere anhand der Gesichtszüge und Körperformen zu bestimmen] befand, die Gruft öffnen und das darauf gewachsene Gesträuch wegräumen. Nicht mehr als sechs Särge, je zwei übereinander auf eiserne Stangen gelegt, hatten darin Raum.

Über die Öffnung berichtet Usteri (Zürcher Dichter und Künstler): ‹Man fand darin einen Scelet, die Gebeine in verfaultem Holz, das darüber zusamen gefallen war. Das Gerippe war in seiner natürlichen Lage, und schien so wie der Schädel von besonderer Grösse. Die Beine lagen noch in Stiefeln, an denen das Leder stükweis noch zähe war, und die grosse Kappen hatten. Bey den Stiefeln befanden sich Sporren von Messing, die aber zerstükt waren. Die Gerippe waren in einem Koller (Kleidungsstück) von Leder, von andern Kleidungsstücken sab man nichts mehr, und weder an dem Schädel noch an den Gebeinen etwas fleischigtes. Neben dem Körper lag ein fingerbreites, zweischneidendes Schwert, da man es aber aufheben wollte, zerfiel es. Die Anwesenden erklärten diese Gebeine für die des Hansen von Hallwil [1433–1504, auch der «Held von Murten» genannt], weil dieser nach der Tradition ein grosser Mann gewesen sein soll, sonst waren keine anderen Beweise für diese Vermuthung vorhanden. Neben diesen Gebeinen lagen ohne Ordnung, vermuthlich weil die Särge verfault und von den Tragen herunter gefallen waren, Schädel und die Gebeine dazu, worunter einer von einer 12 bis 14 jährigen Person zu seyn schien. Auf dem Boden lag ziemlich viel verfaultes Holz. Die Gruft ist etwas mehr als Mannshöhe tief. Bey der Beschliessung wurde wieder alles in hölzernen Kistgen hineingethan.›

Lavater stieg auch in die Gruft hinab und besah die Schädel. Er glaubte an einem die Spuren eines grossen Mannes und an drei andern die Merkmale schöner Frauen gefunden zu haben.

Nachdem die Gruft gereinigt und frisch gemauert war, wurden die Gebeine alle in einen neuen Sarg gelegt. Die Gruft bedeckte man mit einer steinernen Platte, die weggehoben werden konnte.»

aus: Reinhold Bosch, «Die alte Kirche von Seengen», in: Aarauer Neujahrsblätter Band 1 (1927), S. 42–44.