Der Bau der neuen Kirche – ein Kammerspiel in fünf Akten

An der Stelle der heutigen Kirche stand bereits seit dem Mittelalter eine Kirche. Diese wurde im 18. Jahrhundert erweitert, war aber zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit Ausnahme des Turms in baufälligem Zustand. Die steinernen Mauern waren rissig. Die Holzböden, die Kanzel, die Bänke und die Empore waren morsch, sodass gelegentlich Stücke abbrachen. Man war sich einig, dass bauliche Massnahmen vorgenommen werden mussten. Im Jahr 1844 bewilligte der Regierungsrat die Verwendung der Kollekte zur Äufnung eines Baufonds. Die Einwohnergemeinden sollten jeweils 200 Franken pro Jahr dazulegen. An der Kirchgemeindeversammlung vom 26. März 1854 wurde die Kirchenpflege beauftragt, Pläne für einen Neubau oder eine Renovation der Kirche in Auftrag zu geben. Von da an ging ein langer Streit mit verschiedenen, teils unerwarteten Ereignissen los. Der Historiker Max Baumann hat die Geschichte des Baus der neuen Kirche deshalb als «Theaterstück in fünf Akten» bezeichnet:

1. Akt

Zu Beginn schien alles noch in Harmonie zu verlaufen. Eine Kommission der Kirchenpflege favorisierte einen Neubau. Zu diesem Schluss kam auch der Kanton Aargau. Da der Kantonsbaumeister arbeitsmässig überlastet war, sollte sein Zürcher Kollege den Neubau übernehmen. Eine Delegation der Kirchenpflege reiste im Jahr 1858 nach Töss, um die dortige neu gebaute Kirche zu betrachten. Man war einhellig begeistert und nahm diesen Bau zum Vorbild. An der Kirchgemeindeversammlung vom 20. Dezember 1858 fiel der Entscheid für einen Neubau. Der Turm sollte dabei erhalten bleiben, um die Kosten tief zu halten.

2. Akt

Die finanzkräftigste Fraktion der Kirchgemeinde, nämlich Villigen, drohte in der Folge auszuscheren. Sie befürchtete, die grösste finanzielle Last tragen zu müssen. Ab dem 3. Januar 1859 fanden diverse Gemeindeversammlungen zu diesem Thema statt. Man beschloss dort auf dem Gipfel der Empörung die Gründung einer eigenen Kirchgemeinde und den Bau einer grösseren Kirche als die bestehende eigene. Die Beschlüsse vom 20. Dezember 1858 wurden für ungültig gehalten, weil dort auch die auswärtigen Ortsbürger zu Beiträgen verpflichtet wurden. Diese waren aber nicht anwesend. An der Gemeindeversammlung vom 31. Januar 1859 wurde zusammen mit den auswärtigen Bürgern die Gründung einer eigenen Kirchgemeinde beschlossen und ein Bauprojekt von Heinrich Baumann genehmigt, welches den Bau einer grossen Gemeindekirche und weiterer Gebäude enthielt. Die Kirchgemeindeversammlung vom 2. Februar 1859 verweigerte Villigen jedoch (zusammen mit den auswärtigen Bürgern) den Austritt aus der Kirchgemeinde und bekräftigte den eigenen Baubeschluss.

Nun meldete sich die reintreue Minderheit in Villigen zu Wort. Am 22. Februar 1859 gelangten einige Villiger an den Regierungsrat und verlangten, die Separationsbeschlüsse aufzuheben, da diese keinem Bedürfnis entsprächen. Dagegen wehrte sich jedoch der Villiger Gemeinderat mit dem Argument, Villigen müsste sonst die Hälfte der Reiner Kirche finanzieren. Die Regierung beschloss schliesslich am 13. Februar 1860, dass Villigen in der Kirchgemeinde Rein bleiben und das Reiner Bauprojekt weiterverfolgt werden sollte, insbesondere jenes des Architekten Wolff.

3. Akt

Der Plan Wolff sah den Abriss des noch intakten Kirchturmes vor. Diesem Projekt stimmte die Kirchgemeinde am 23. Oktober 1860 zu, allerdings mit der Bedingung, dass der Kanton einen Drittel der Kosten übernehmen und für die verbleibenden zwei Drittel einen Beitrag leisten würde. Der Kanton rechnete den Betrag jedoch anders als vom Architekten Wolff vorgesehen, und zwar zu seinen Gunsten und kam auf einen niedrigeren Betrag als von der Kirchgemeinde gewünscht. Die Kirchenbaugenossenschaft stellte dem Kanton darauf ein Ultimatum: Entweder er bezahlt mindestens 20 000 Franken oder es wird ein anderes Projekt unter Einbezug des bestehenden Turmes beschlossen. Der Kanton bot darauf 13 000 Franken an und stellte es der Kirchgemeinde frei, den bestehenden Turm in die neue Kirche zu integrieren. Darauf beschloss die Kirchgemeinde am 24. November 1861 die Ausführung des Planes Wolff mit einem neuen Turm, stellte allerdings die Bedingung, dass der Kanton 16 000 Franken bezahlt. Als wäre die Situation nicht bereits komplex genug gewesen, zog in diesem Moment eine weitere Front auf, und dies noch bevor der Regierungsrat über den Kantonsbeitrag befinden konnte.

4. Akt

War es im Vorjahr die Fraktion Villigen, die den Aufstand probte, so war es jetzt Remigen, das auf die Barrikaden ging. An der Kirchgemeindeversammlung vom 24. November 1861 stellte der Remiger Gemeindeamman Vogt den Antrag, dass der Kirchenbau verschoben würde. Er begründete dies mit der finanziellen Lage Remigens und, was wohl das Hauptmotiv war, die neue Kirche sollte in der Talebene zwischen den Gemeinden (und somit näher bei Remigen) gebaut werden. Nun brach ein Chaos aus. Trotzdem sollte abgestimmt werden. Um den Überblick zu behalten, hiess es zuerst, dass jene, die keine neue Kirche wollten, in den Kirchhof treten sollten. Dann jedoch kehrte die Anweisung plötzlich um, sodass jene, die eine neue Kirche wollten, in den Kirchhof treten sollten. Das Abstimmungsergebnis fiel mit knappem Mehr zugunsten einer neuen Kirche aus. Allerdings wehrten sich die Remiger angesichts der chaotischen Lage weiter und bezeichneten das Vorgehen als eines Rechtstaates unwürdig. Verschiedene Zeugen wurden vernommen und eine Eingabe beim Regierungsrat gemacht. Dieser erklärte die Beschlüsse der Kirchgemeindeversammlung am 29. Januar 1862 für gültig, womit das Bauvorhaben bestätigt war.

5. Akt

Noch war die Finanzierung der Kirche nicht geklärt. Die Kirchgemeinde verlangte vom Kanton 16'000 Franken, während dieser nur einen Sechstel der Kosten beitragen wollte. Der Kantonsbaumeister wendete nun einen Trick an. Er rechnete die Kosten noch einmal neu und kam auf insgesamt 96'000 Franken, wovon 16'000 Franken genau ein Sechstel beträgt. Der Regierungsrat ging deshalb auf diesen Betrag ein, was der Grosse Rat am 26. Juni 1862 bestätigte. Im darauf folgenden November wurde das Projekt ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt schliesslich der Baumeister Heinrich Baumann, der zuvor die neue Kirche in Villigen hätte bauen sollen. Sein Projekt kostete insgesamt 82'500 Franken. Die alte Kirche wurde im Winter 1862/63 abgerissen. Am 18. April 1863 wurde der Grundstein für die neue Kirche gelegt. Bereits am 4. Juli 1863 konnte die Aufrichte gefeiert werden. Zwar kam der Bauprozess rasch voran, doch immer wieder machten Gerüchte über unsorgfältige Arbeiten oder schlechtes Material die Runde und führten zu Störaktionen und Nachfragen in der Bevölkerung. Allerdings gab es auch positive Überraschungen. Einige Händler aus dem Ausland mit Bürgerrecht in der Kirchgemeinde stifteten Glocken oder Glasmalereien, was dem Budget zugutekam.

Die neue Kirche wurde am 5. Mai 1864, dem Auffahrtstag, eingeweiht. Gemeindeglieder, Pfarrer, Kirchen- und Staatsbehörden feierten gemeinsam dasjenige Haus, worum sie zuvor heftig gestritten hatten. An diesem Tag standen sie vereint als der Leib, der in Christus zur Einheit in versöhnter Verschiedenheit gelangt.

Quelle: Max Baumann: Rein und Rüfenach. Die Geschichte zweier Gemeinden und ihrer unfreiwilligen Vereinigung, Baden 1998.