Der schönste Tag für den «Glocken-Kari»

Am 16. Juli 1960 fand der festliche Glockenaufzug in Muhen statt.

Eine der fünf Glocken – die zweitkleinste, 620 kg schwer und auf gis gestimmt – hat ein besonderes Schicksal.

Spender für Glocke Nr. 4, Karl Lüscher, Knecht

Karl Lüscher war Verdingbub in Teufenthal. Nach seiner Konfirmation kam er als Knecht zu einer Bauernfamilie nach Muhen. Er interessierte sich lebhaft für Uhren, für Kirchen- und Kuhglocken. Im Gottesdienst habe man ihn wenig gesehen, sondern sonntags zog es ihn in die Kirchen der näheren und weiteren Umgebung, um die Glocken zu inspizieren und zu hören. «Einmal zog es ihn ohne einen Rappen Geld im Sack auf Schusters Rappen bis nach Luzern. Auf dem Heimweg merkte er erst in Entlebuch, dass er sich verlaufen hatte.»

Eines Tages fragte er den damaligen Pfarrer von Muhen, «wieviel wohl die kleinste Glocke der kommenden Kirche kosten würde». Der versuchte ihm, im Hinblick auf seine finanziellen Möglichkeiten, die Idee auszureden. Als der Pfarrer, inzwischen in einer anderen Pfarrgemeinde tätig, an die Feier des Glockenaufzugs in seine frühere Gemeinde Muhen kam, präsentierte sich ihm folgendes Bild: «Auf fünf mit Tannenzweigen, Blumen und Bändern geschmückten Brückenwagen wurde das fünfstimmige Geläute von der Glockengiesserei Aarau her zur Kirche am Lotten gebracht. Die Frauen der Trachtengruppe fuhren als Ehrenwache freudestrahlend mit. Da, auf dem vierten Wagen, steht, rank und schlank, hochaufgerichtet, neben seiner Glocke unser Kari, strahlend und glücklich, dass sein höchster Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Und aus seinen Augen leuchtet der berechtigte Stolz, sein Lebensziel erfüllt zu haben.» Wie war dieses Wunder möglich geworden? Des Rätsels Lösung war in der umsichtigen Meistersfrau zu finden, die von Anfang an regelmässig einen Teil von Karl Lüschers bescheidenem Lohn auf ein Sparbüchlein eingezahlt hatte, daraus war im Verlaufe der Jahrzehnte eine ansehnliche Summe zusammengekommen: «Somit ist es ihm möglich geworden, der reformierten Kirche Muhen eine Glocke, sogar die zweitkleinste, zu stiften und damit seinen innigsten Herzenswunsch zu erfüllen.»

Sein fachmännischer Wunsch – dass sein Wagen mit dem stärksten Gespann der Gemeinde ausgerüstet werde –, wurde mit der Fuhrhalter-Gemeinschaft Stirnemann/Gebr. Müller (Pantlis), Schwabistal, erfüllt. Vorne auf dem Leitpferd sitzend Robert Stirnemann.

1972 starb «Glocken-Kari» mit 82 Jahren und ist auf dem Friedhof neben der Kirche begraben.

«Aber im Turm auf dem Markanten Felsvorsprung über dem Dorf schwingt seine Glocke. Darauf steht in Erz gegossen und fein ziseliert sein Familienwappen, darunter: KARL LÜSCHER, 1890, das Gussjahr 1960, und rund um den Glockenkranz sein Konfirmandenspruch. Der schallt nun weit ins Suhrental und über die Autobahn ins Land hinaus: ICH BIN BEI DIR, SPRICHT DER HERR, DASS ICH DIR HELFE (Jer. 30,11).»

nach einem Bericht von alt Pfarrer Willi Fischer, Aarau

Turnhalle gegen Kirche und Lehrer gegen Lehrer

Nicht alle Mühlener waren davon überzeugt, dass der Bau einer eigenen Kirche unbedingt notwendig und vordringlich sei. Ausgerechnet ein Lehrer, Gottlieb Lüscher, ergriff an der Einwohner- und Ortsbürgerversammlung vom 16. November 1931 gegen die Bestrebungen seines Lehrerkollegen Friedrich Bolliger für eine eigene Kirche das Wort und führte aus, dass der Bau einer Turnhalle viel wichtiger sei als eine neue Kirche, dies mit Hinweisen auf hygienische Unzulänglichkeiten der alten Turnhalle und Ähnlichem mehr. Er beantragte, dass die Einwohner- und Ortsbürgerversammlung dem Gemeinderat zur Planung einer neuen Turnhalle unverzüglich beauftragen sollten.

Seine Voten unterstrich er mit der originellen Begründung, dass in 20 Jahren jedes Haus mit einem Radio ausgerüstet sein werde und dass man auch am Radio die schönsten Gottesdienste hören könne. Kontrahent Bolliger konterte seinem Vorredner und Lehrerkollegen, «wenn Geistliche durch das Radio ersetzt werden könnten, wäre es doch auch möglich, die Schulmeister durch den gleichen Apparat zu ersetzen...» Trotz dieses schlagenden Arguments wurde sich die Einwohner- und Ortsbürgerversammlung schliesslich einig, dass zuerst eine neue Turnhalle nötig sei – und diese wurde dann auch tatsächlich zuerst gebaut und 1947 eingeweiht.