«... ersuchen Sie, von der geplanten Unterstellung abzusehen.»

Die Sichtung der Unterlagen zu einer zu bearbeitenden Kirche in der Denkmalpflege des Kantons Aargau ist immer wieder eine so hochspannende wie anstrengende Tätigkeit – letzteres manchmal durchaus physisch verstanden, denn bei einer bedeutenden alten Kirche – als Beispiel sei die Stadtkirche Zofingen genannt – können die entsprechenden voluminösen Konvolute mit Dokumenten, historischen Fotos, Plänen und anderem mehr rasch den mehrfachen Kilobereich erreichen.

Da faszinieren kostbare Originaldokumente wie filigran gezeichnete Pläne, begeistern historische Photographien durch ihre nicht nur dokumentarische, sondern oft auch künstlerische Qualität, auch und gerade diejenigen aus der vor-Pixel-Ära, die immer wieder durch gestochen scharfe Technik bis in letzte Details entzückt; da erstaunen differenzierteste Kostenvoranschläge und Ausführungen von beteiligten Architekten und Kunsthandwerkern, engagierten Pfarrherren, Mäzenen und Mitgliedern von Kirchenpflegen, kurzum: Beeindruckend ist die Umsicht und immer wieder auch vorausschauende Sorge um das Bestehende, das für die Nachwelt so sorgsam als irgend möglich bewahrt werden soll.

So kam es im Laufe der Zeit denn auch zu etlichen Sternstunden «in den Katakomben von ...» – wie viele irregeleitete Laien sich solches Tun (vielleicht inspiriert durch alte Spielfilme von so gut wie lebensuntauglichen Wissenschaftlern mit dicken schwarzen Hornbrillen, aber immerhin verkörpert zum Beispiel in der attraktiven Erscheinung eines Gregory Peck?) summarisch vorstellen, in geheimnisvollen, staubigen und leicht unheimlichen Gemächern – für Kunsthistoriker und Archäologen im Aargau allerdings völlig falsch: Wer Staub und Moder sucht, soll sich direkt in alte Gemäuer, vorzugsweise in deren Krypten, Türme und Glockenstuben begeben –, denn die Denkmalpflege des Kantons Aargau befindet sich im 1. Stock des im Aarauer Volksmund so genannten «Wellenbrecher», eines leicht futuristisch anmutenden Baus an der Bachstrasse, direkt hinter der Passerelle, die von den Perrons des Bahnhofs den abgekürzten Weg Richtung Stadt gewährleistet: Und manchmal verbringt man an diesem eher nüchternen Ort, dessen Zutritt einem nach telefonischer Voranmeldung gewährt wird, wirkliche Sternstunden, die einem das Gefühl verleihen, man hätte tatsächlich «den schönsten Beruf der Welt» (dessen vermutete Prestigeträchtigkeit zumeist mit umgekehrt proportionaler Honorierung einhergeht).

Mitunter tritt bei dieser Arbeit in der Denkmalpflege allerdings auch Erstaunliches der ganz anderen Art zutage, denn nicht immer geht es im Zusammenhang mit dem Erhalt von wertvollen Kulturgütern nur um das Gute und Edle, Distinguierte und Wohlausgewogene! Da diskutieren und argumentieren verantwortliche, involvierte und interessierte Parteien – also im modernen Businessjargon die sogenannten «Stakeholders» – durchaus auch mit härteren Bandagen, und manchmal lassen schriftliche Zeugnisse Abgründe, langschwelende Konflikte und versteckte oder gar offensichtliche persönliche Animositäten erahnen, selbst wenn sie sich – zumeist! – unter spitzer Feder elegant zu kaschieren wissen. Da geht es – je nach Wesensart, Temperament, Erziehung und Tagesform – von feinziselierten Erwägungen über gezielte Sottisen und präzis gesetzte Seitenhiebe durchaus zu direkten Invektiven, polternden Grobheiten und Hieben mit dem Zweihänder gegen andersmeinende Kontrahenten, denn bei denkmalgeschützten Objekten bzw. deren Renovationen, Umnutzungen, Erweiterungen sind immer mehrere Parteien involviert, mit teilweise ganz unterschiedlichen bis diametral entgegengesetzten Agenden, Vorstellungen, Zielen und finanziellen Interessen.

Jahrzehnte später veranlassen solche Dokumente (die summa summarum doch die Ausnahme und nicht die Regel bilden) zumeist zum Schmunzeln und zu allgemeinen Überlegungen betreffs «Menschliches bis Allzumenschliches»; man versucht sich die jeweiligen Persönlichkeiten und Konflikte, wovon diese Dokumente nur fragmenthaft zeugen, vorzustellen – allerdings im Bewusstsein, dass es den damals Beteiligten vermutlich des öfteren nicht ums Lachen zumute war!

Solchermassen vorgewarnt reagiert man dann aber doch einigermassen verblüfft, wenn man im Zusammenhang mit der geplanten Unterschutzstellung von Kirche und Pfarrhaus Holderbank auf ein Schreiben der Kirchenpflege Holderbank-Möriken-Wildegg vom Mai 1953 an den dem damaligen Kantonsarchäologen, Dr. Reinhold Bosch («Sehr geehrter Herr Doktor!») stösst, in dem jene schnörkellos mitteilt:
«Wir haben die Angelegenheit eingehend geprüft, kommen aber zum Schluss, dass die erwähnten Objekte absolut nicht denkmalschutzwürdig sind. Keines der beiden Gebäude fällt durch besondere Bauart auf. Wir können den Entscheid der Kant. Altertümerkommission deshalb nicht verstehen und ersuchen Sie, von der geplanten Unterstellung [sic!] abzusehen. Hochachtungsvoll»

«absolut nicht «denkmalschutzwürdig» – Donnerwetter, das sind starke Worte! Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Eigentumsverhältnisse der Kirche: So war die politische Gemeinde Holderbank Eigentümerin des Kirchenschiffes, während die Kirchgemeinde den Chor der Kirche besass. Die Gemeinde hatte der geplanten Unterschutzstellung bereits zugestimmt, aber die Kirchgemeinde stellte sich trotzdem – oder gerade deswegen? – quer!

Der Kantonsarchäologe antwortete in einem Brief vom 11. September 1954 folgendes:
«Die Erziehungsdirektion hat mich beauftragt, mit Ihnen nochmals die Frage zu besprechen, aber nur dann, wenn irgendwelche Aussicht besteht, dass Sie Ihre Stellungnahme ev. zu ändern gewillt sind. Sie kommen zum Schluss, dass die erwähnten Objekte nicht schutzwürdig seien. Darf ich Sie auf den letztes Jahr erschienenen 2. Band der Aarg. Kunstdenkmäler aufmerksam machen, wo sich nicht weniger als sechs Seiten (30-35) mit der kunstgeschichtlichen Bedeutung der Kirche und des Pfarrhauses von Holderbank befassen. Ich glaube, dass es genügen sollte, diesen Kronzeugen anzurufen!»

Der Verfasser schlägt im weiteren ein Treffen vor, bei dem auch Dr. Emil Maurer, Inventarisator der aargauischen Kunstdenkmäler teilnehmen sollte. Und schliesst das Schreiben mit folgenden Worten, die einer unverhohlenen Drohung gegenüber der widerborstigen Kirchgemeinde gleichkommt:
«Lehnen Sie diese Besprechung ab, so wird die Altertümerkommission nach einem Augenschein darüber entscheiden, ob diese Gebäude dem Regierungsrat für den Denkmalschutz vorzuschlagen seien oder nicht. Ueber diesen Entscheid dürfte heute kein Zweifel bestehen. Mit vorzüglicher Hochachtung»

In einem erhalten gebliebenen Entwurf des erwähnten Dr. Emil Maurer zuhanden der kantonalen Kommission der Denkmalpflege wird auf die unbestreitbare Qualität der Kirche verwiesen, «als Werk des bernischen Architekten Samuel Jenner, ausgestattet mit zahlreichen Effingerschen Gedenktafeln und Grabplatten und einem überaus kostbaren, figürlich geschmückten gotischen Taufstein ist die Kirche ohne jeden Zweifel des kantonalen Denkmalschutzes wert.»

In einem offiziellen Schreiben an die Kirchenpflege vom 8. Juni 1960 schliesslich «beehrt sich» der Erziehungsdirektor des Kantons Aargau, «Ihnen mitzuteilen, dass der Regierungsrat in seiner Sitzung vom 12. Februar 1960 [...] das in Ihrem Eigentum befindliche Objekt GB Nt. 509 (Pfarrkirche) unter staatlichen Schutz zu stellen und in das Kantonale Denkmalschutzverzeichnis einzutragen. [...] Der Regierungsrat hat damit, einem Antrag der Kantonalen Kommission für Denkmalpflege folgend, Ihre Beschwerde vom 4. Mai 1953 abgewiesen.»

Im weiteren wird mit Hinweis auf §4 der massgeblichen Verordnung auf folgendes aufmerksam gemacht, was grundsätzlich für alle unter Denkmalschutz stehenden Objekte gilt (und manchem Besitzer schlaflose Nächte bescheren kann), «wonach eingetragene Altertümer ohne vorgängige Bewilligung des Regierungsrates weder verändert, beseitigt, renoviert, verunstaltet noch in ihrer Wirkung beeinträchtigt werden dürfen und so zu unterhalten sind, dass ihr Bestand dauernd gesichert ist.»

Das Schreiben des Erziehungsdirektors endet mit «Indem wir auf Ihre verständnisvolle Mitarbeit in der Pflege unseres altererbten, schönen Kulturgutes rechnen, zeichnen wir mit vorzüglicher Hochachtung».

Zum grossen Bedauern der Kunsthistorikerin findet sich in diesen Unterlagen nichts über die Reaktion der damaligen Kirchenpflege. Eine gewisse Genugtuung dürfte aber die Tatsache gewesen sein, dass deren Einsprache immerhin den Verzicht einer Unterschutzstellung des Pfarrhauses zur Folge hatte!

«Teilerfolg dank Widerstand: Holderbank und der Denkmalschutz» in der Ausgabe des a+o von April 2019 (PDF 248 KB)