«Gross-Erlinsbach» zwischen katholisch und refomiert

Eigentliche Gründungslegenden finden sich bei reformierten Kirchen nur selten. Hier stehen eher Geschichten im Vordergrund, die mehr weniger gut belegte Schlüsselereignisse beschreiben, etwa die Reformation selber oder dann Aktionen der Obrigkeit gegen die meist im Verborgenen agierenden Täufer. Die nachfolgende Zusammenstellung ist nur ein kleiner Ausschnitt einer grösseren Zahl interessanter Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit, die aber bis heute nachwirken, ohne dass wir uns dessen bewusst sind.

Mit diesem Eintrag ins älteste erhaltene Taufrodel dürfte das reformierte Pfarramt Erlinsbach in der neuen Kirche (15 Jahre nach dem Bau!) am 17. Januar 1580 seine Tätigkeit aufgenommen haben. Der Titel vermerkt: «Volgend die Kinder so durch mich Tobiam Blaumer, Predikanten zuo Erlispach sind getauft worden».

Reformiert oder katholisch?

Im Spätmittelalter gerieten die katholische Kirche und ihre Würdenträger immer mehr unter Druck. Die Priester predigten nicht selten ein gottgefälliges Leben, ohne sich selber daran zu halten. In vielen Dörfern konnten die Menschen beobachten, wie ihre Pfarrer trotz Eheverbot und Zölibat Kinder hatten und diesen manchmal sogar zu einer geistlichen Karriere verhelfen wollten, obwohl die uneheliche Geburt ein absolutes Hindernis für die Weihe zum Priester war. Für Geld konnte man sich aber beim Bischof von diesem Makel loskaufen, ebenso wie von vielen anderen grösseren und kleineren Sünden. Reformatoren wie Luther und Zwingli geisselten diesen Ablasshandel aufs Schärfste. Ihnen gelang es, die Bevölkerung und die Obrigkeit für eine Neuausrichtung des Glaubens zu gewinnen, aber nicht überall! Das Gebiet von «Gross-Erlinsbach» war kirchlich an die St. Niklaus-Kirche gebunden. Diese lag, weil rechts des Erzbaches, im solothurnischen Einflussgebiet, aber den Pfarrer durfte Bern bestimmen. Diese komplizierte Rechtslage ging auf das alte Kirchensatz-Recht des Klosters Königsfelden zurück. Dieses Recht fiel an Bern, als 1528 mit der Reformation im bernischen Herrschaftsgebiet die Klöster aufgehoben worden waren.

Mit dem Wechsel zum reformierten Glauben wurden Ehe- und Sittengerichte (Chorgerichte) eingeführt, die den Lebenswandel der Dorfbevölkerung überwachen und bei Verstössen Strafen aussprechen mussten. Der Titel der Berner Chorgerichtssatzung heisst dem entsprechend: «Der Statt Bern Chorgrichts Satzung umb Ehsachen, Huorey und Ehbruchsstraff. Anstell- und Erhaltung christenlicher Zucht und Ehrbarkeit (…) zu Statt und Land zugebrauchen»

Bern und Solothurn im Widerstreit

Bereits vor der Reformation gerieten Bern und Solothurn wegen der unterschiedlichen Auslegung der Religion aneinander. So schrieb der Rat der Stadt Bern am 30. September 1527 an den Solothurner Rat, sie sollten gefälligst dafür sorgen, dass die Leute rechts des Erzbaches nicht an den Feiertagen arbeiteten, die Bern angesetzt habe. Damit würden die Solothurner «die unsern daselbs etlicher gestalt schmützen [=beschimpfen] und verachten».

Nach der Reformation (1528) und dem auch in der katholischen Kirche von Erlinsbach veranstalteten Bildersturm erinnerte sich Solothurn an einen der Hauptverursacher – den ab 1529 in Erlinsbach amtierende reformierten Pfarrer und ehemaligen katholischen Leutpriester von Lostorf Heinrich Brügger. 1532 liess ihn der Vogt von Gösgen, zu dessen Gebiet Erlinsbach rechts des Erzbachs gehörte, inhaftieren. Erst auf Intervention von Bern kam er wieder frei.

Auch nach dem Bau der neuen Kirche 1565 blieb das Verhältnis zwischen Bern und Solothurn gespannt. Nur so lässt sich die Vakanz der reformierten Pfarrstelle erklären, die immerhin 16 Jahre (1563–1579) andauerte und erst mit der Wahl des Prädikanten Tobias Blauner im September 1579 endete.

Eine endgültige Bereinigung der gegenseitigen Verhältnisse zwischen Solothurn und Bern (Grenze, Zuständigkeit, Einkünfte) wurde erst im Wyniger Vertrag von 1665 erreicht.

Und die St. Niklaus-Kirche?

Nachdem Bern seit der Reformation (1528) während Jahrzehnten versucht hatte, die katholische Kirche von Erlinsbach als reformiertes Gotteshaus durchzusetzen, reifte allmählich die Erkenntnis, dass nur mit dem Bau einer eigenen reformierte Kirche im bernischen Teil von Erlinsbach (links des Erzbachs) die Situation bereinigt werden könne.

Bis dies der Fall war, mussten die Erlinsbacher Katholiken mehr als 40 Jahre lang die Messe in Stüsslingen besuchen. Erst nach dem Auszug der Reformierten und der Renovation der St. Niklaus-Kirche konnten hier seit 1571 wieder katholische Gottesdienste abgehalten werden. Beinahe ein halbes Jahrhundert später – im Jahr 1616 – weihte ein Vertreter des Bischofs von Basel die in der Reformationszeit zerstörten Altäre neu und vollzog damit die Wiederheiligung (Rekonziliation) der anlässlich der Reformation entweihten Kirche.

Ein sprechender Buchumschlag

Im Erlinsbacher Gemeindearchiv finden sich mehrere Kirchenbücher, die mit beschriebenen Pergamentbögen eingefasst worden sind (Pergamentmakulatur). Bei diesen Einbindebögen handelt es sich meist um Bestandteile von Büchern, die im 15. Jahrhundert in lateinischer Sprache verfasst worden sind und aus katholischer Zeit stammen. Sie waren nach der Reformation von 1528 aus den Pfarrhäusern und den Kirchen entfernt worden.

Das älteste erhaltene Chorgerichtsmanualder Kirche Erlinsbach von 1626 (heute im Gemeindearchiv). Hier wurden ehe- undsittengerichtliche Fälle eingeschrieben. Links ist ein Teil des pergamentenenEinbandes zu sehen, der aus einem Bogen eines spätmittelalterlichen(katholischen) Kirchenbuches zugeschnitten worden ist.

Da sich solche Pergamentmakulaturen in vielen Gemeinden meist bei reformierten Kirchenbüchern (Kirchenrechnungen, Chorgerichtsmanuale und Tauf-, Ehe oder Totenrödel) finden, ist nicht auszuschliessen, dass damit auch eine gewisse Herabwürdigung der als wertlos erachteten katholischen Kirchenbücher bezweckt worden ist.