Die Glasmalereien

Im zentralen (mittleren) von drei Chorfenstern der Kirche Schöftland findet sich eine Scheibe des bekannte Aarauer Künstlers Felix Hoffmann (1911—1975) mit einer «Noli me tangere»-Darstellung. Sie stammt von 1954 und hat die Masse 86 x 123 cm. Diese Glasmalerei stellt die Erscheinung des auferstandenen Christus am Ostermorgen vor Maria Magdalena aus dem Johannes-Evangelium dar. Diese hält ihn anfänglich für einen Gärtner, bis er sich ihr zu erkennen gibt, indem er sie beim Namen nennt: «Maria!» Sie spricht ihn auf Hebräisch an: «Rabbuni! Das heisst ‹Meister›. Jesus sagt zu ihr: Fass mich nicht an! Denn noch bin ich nicht hinaufgegangen zum Vater. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.» (Joh 20,16-17)

Die Scheibe mit einer «Noli me tangere»-Darstellung des Aarauer Künstlers Felix Hoffmann von 1954

Felix Hoffmann hat sich bestimmt auch hier bereits mit den in seinem Bericht über die Entstehung des Chorfensters der Kirche Windisch (1967) festgehaltenen Überlegungen zur Grundsatzfrage beschäftigt, ob ein «zweiteiliges Fenster als Einheit behandelt, oder ob gerade diese Zweiteilung formal und thematisch bindend sein sollte».

Tatsächlich ist die Scheibe in ein zweiteiliges, durch eine Steinstrebe getrenntes Fenster eingebunden. Je eine der beiden Figuren füllen das linke bzw. das rechte Bildfeld aus, sind also voneinander getrennt – und dennoch ist auch das Verbindende sehr stark: Die zugewandte Körperhaltung, die grossen, wachen Augen und die Sehnsuchtsgebärde der Frau durch ihre linke Hand, deren Fingerspitzen ins Bildfeld des Auferstandenen hineinragen, während Christus vor dem angedeuteten, offenen leeren Grab im Hintergrund trotz der zurückweisenden Geste mild, mit leicht geneigtem Kopf und liebevollem, verinnerlichten, zugleich zärtlich zugewandten Gesichtsausdruck erscheint. Getrennt – und doch vereint.

Ausschnitt der Christusfigur mit angeschnittenem Kopf und blauem Kreuznimbus

Auffällig ist in der Christusfigur nicht nur der leuchtendblaue Kreuznimbus, sondern auch, dass sowohl Kopf wie Nimbus stark angeschnitten sind. Der Künstler zeigt Jesus bzw. Christus immer wieder auf diese Weise, oder so, dass Kopf und Nimbus über das Bildfeld hinausragen, wie etwa im Fenster zur Verleugnung Petri in der Kirche Rupperswil. Es kann so gedeutet werden, dass Jesus Christus jedes Mass und jeden Rahmen sprengt.

Eindrücklich hat Felix Hoffmann die Handgebärden der beiden Figuren gestaltet: Die Rechte, die die erschrockene Frau zum Mund führt, nachdem er sich ihr zu erkennen gegeben hat, die erwähnte Sehnsuchtsgebärde ihrer Linken, dann die Linke Christi mit dem Stigma und seine zurückweisende Rechte, die ausdrückt, was er zur Frau sagt: «Rühre mich nicht an» («Noli me tangere»). Wie immer bei diesem Künstler spielen Hände und Füsse der dargestellten Figuren eine besonders wichtige Rolle; sie erscheinen gerade bei Christus als deutlich übergross. Sowohl Maria Magdalenas wie Christi Füsse sind – wie zumeist bei diesem Künstler – nackt und wie die Hände gross.

In dieser Scheibe, wie in vielen anderen seiner Glasmalereien, zeigt Felix Hoffmann stark stilisierte Pflanzen. Auffällig ist, dass die im linken Panneau mit grossen stilisierten Blüten geschmückten Bäume sich im rechten Panneau nicht fortsetzen. Dort finden sich einzig die (auch im linken Bildfeld vorhandenen) stilisierten Gräser in mehreren, sanft gebogenen dekorativen Farbbändern, die sich über beide Panneaux erstrecken und die Darstellung durch diesen Hintergrund formal verbinden.

Hintergrund mit stilisierten floralen Mustern (Ausschnitt aus dem rechten Bildteil)

Die beiden Bildteile liessen sich deuten als Irdisches, Vergängliches einerseits (Maria Magdalena und die blühenden Bäume) und als Transzendentes, die Überwindung von Tod und Leiden andererseits.

Der blühende Baumschmuck des linken Bildteils könnte bedeuten: «Wie die Natur aufblüht und wieder stirbt, so auch der Mensch. Indem er das Stirb und Werde der Natur feiert, bejaht er sein eigenes Schicksal und söhnt sich damit aus. [...] Wenn wir Ostern feiern, so bekräftigt das Aufblühen der Natur das in der Auferstehung Christi aufgebrochene Leben.» (Anselm Grün, Heilendes Kirchenjahr, S. 18f.), während die drei auf ihre einfachste Form reduzierten Kreuze, die Sonne und die abstrahierten floralen Formen auf das Übergeordnete, das Ewige hindeuten.

Stilisierte Blüten am Baum links von Maria Magdalena

Dem würden auch die drei runden Formen innerhalb dieser Scheibe entsprechen – links ein Gefäss, das Maria Magdalena bei sich hat, und rechts der Nimbus des Auferstandenen und auf der gleichen Höhe die kleine runde Sonnenscheibe: auch hier einerseits Irdisches, Irdenes, leicht Zerbrechliches, «Tönernes», und das Zeichen für Transzendenz und Heiligkeit im Nimbus neben dem leuchtenden Himmelskörper als Teil des Kosmos, der von Gott geschaffenen Schöpfung.

Die Farbgebung erscheint zurückhaltend; vorherrschend sind Blau und Weiss, auch zurückhaltende Rottöne, dies vor allem in einem leicht konkav gestalteten Band, das sich über die ganze Fensterbreite unter dem türkis gehaltenen Himmel durchzieht. Auch die drei Kreuze stehen in diesem roten Feld.**

Das tiefe Blau von Maria Magdalenas Gewand findet seine genau farbliche Entsprechung im Nimbus des Auferstandenen. Einzig der linke Arm von Maria Magdalena und feinste Gesichtskonturen des Auferstandenen enthalten eine Spur Gelb.

Der Kopf des Auferstandenen mit blauem Nimbus und feinsten Schwarz -und Silberlotzeichnungen (das Gold in den Gesichtskonturen)

In schlichtem Weiss erscheint sein Gewand, das durch diese Farbe an Reinheit und an ein Totenlinnen zugleich erinnert. Die Fältelung ist schlicht, vom Künstler frei, dennoch sehr durchdacht und vor allem in den horizontal geschwungenen Falten und an den Ärmeln graphisch sehr fein gestaltet.

Auffällig ist, dass die Figur der Maria Magdalena eher dunkel gestaltet ist, während der Bildhintergrund dieses Bildteiles weisse Elemente enthält (Bäume und Blüten); umgekehrt ist der Bildhintergrund auf der rechten Seite dunkel gehalten – dafür erscheint der im Vordergrund stehende Christus in fast fluoreszierendem Weiss.

Die Signatur Felix Hoffmanns und das Datum finden sich unten links und lauten:

«1954
Felix Hoffmann»

Signatur des Künstlers und Entstehungsjahr

Text © Barbara Tobler
Fotos © Hans Fischer

Die Kirche Schöftland hat neben der Glasmalerei von Felix Hoffmann noch weitere wichtige Erzeugnisse aus diesem Bereich zu bieten. Bereits in der Zeit um 1520 wurden einige Kabinettscheiben beschafft. Davon sind drei erhalten geblieben und hängen im Chor. Zwei davon sind die Standesscheiben von Bern im Südostfenster. Sie haben eine runde Form, die durch einen roten Rahmen begrenzt wird. Vor einem grünen Hintergrund halten zwei goldene Löwen mit schrägem Blick nach vorne eine Krone über das deutsche Kaiserwappen, den Doppeladler. Unter diesem Wappen verbeugen sich zwei Berner Wappen, welche sich zu Füssen der Löwen befinden. Dabei steht der eine Löwe mit einer Pfote auf dem einen Wappen, während der andere Löwe auf einem Bein steht und das andere hinter dem anderen Wappen verbirgt.

Die andere Scheibe aus dieser Zeit ist jene der Margret von Stuben (1521) im Nordostfenster. Sie zeigt ihr Familienwappen, ein mit Gold umrahmter Spiegel auf rotem Grund. Als Helmzier dient das Porträt eines Mannes mit rotem Mantel, rot-goldenem Hut, braunem Bart und goldenem Zopf. Margret von Stuben war die Ehefrau des damaligen Herrn von Schöftland, Sebastian von Luternau. Die drei ältesten Scheiben wurden vermutlich vom Künstler Hans Funk hergestellt.

Nach dem Kirchenneubau von 1683 wurden acht weitere Kabinettscheiben gestiftet und vermutlich von Hans Ulrich Fisch II. in Aarau angefertigt. Sie befinden sich alle im Kirchenschiff, und zwar in den Fenstern zwischen der Empore und den Seitenportalen. Im Fenster neben dem Nordportal ist das Wappen des Erbauers, Bartholomä von May (1654-1726), zu finden. Es zeigt in der oberen Hälfte zwei kämpfende Löwen in blauer Farbe. Die untere Hälfte ist fünfmal gespalten. Die Pfähle sind alternierend golden und blau gefärbt. Die Beschreibung am Fuss der Kabinettscheibe zeigt Bartholomä von May als Kapitänleutnant im Dienst des Königs von Frankreich.

Im selben Fenster wie die Scheibe von Bartholomä von May ist jene seiner Ehepartnerin, Margaretha von May, geborene von Mülinen. Die Scheibe zeigt ihr Familienwappen mit drei goldenen Bienenkörben auf rotem Grund.

Der Pfarrer zu dieser Zeit, Vincentz Herport, stiftete ebenfalls eine Kabinettscheibe. Sie befindet sich im Fenster neben dem Südportal. Darauf sind sein Familienwappen, ein nach links steigender brauner Hirsch über einem roten Dreiberg auf silbernem Grund, und jenes seiner Ehefrau, Salome von Bonstetten, das drei senkrechte silberne Rauten auf schwarzem Grund zeigt, abgebildet.

Im gleichen Fenster wie die Scheibe des Pfarrers und seiner Frau befindet sich das Wappen des Aarauer Pfarrkapitels, der «Ehrwürdigen Class» (wahrscheinlich eine deutsche Ableitung von Calvins französischer Bezeichnung des Pfarrkapitels als «vénérable compagnie»). Es ist in drei Teile gegliedert. Der oberste Teil zeigt eine Bibel mit Schwurhand. Direkt darunter befindet sich zwischen dem obersten und dem mittleren Drittel eine Taube als Symbol für den Heiligen Geist. Wiederum darunter befinden sich, in einem Kreis versammelt, einige Männer mit Flammen auf den Köpfen. Es handelt sich um eine Darstellung des Pfingstwunders aus Apostelgeschichte 2, wo die Jünger Christi den Heiligen Geist (ausgehend von und hinleitend zu Gottes Wort) empfangen haben. Äusserlich wurde dies durch Flammen auf ihren Häuptern und das Sprechen verschiedenster Sprachen erkennbar. Darauf sprachen sie die umliegenden Menschen an, und 3000 Menschen traten der Urgemeinde bei. Das unterste Drittel der Wappenscheibe führt 24 Namen auf. Es handelt sich um die damaligen Mitglieder des Kapitels.

Einzigartig sind die vier Gemeindescheiben. Städte-, Stände- und Familienscheiben gibt es im Aargau viele, aber dass Landgemeinden ihrer Kirche eine Kabinettscheibe gespendet haben, ist nur in Schöftland nachweisbar. Es handelt sich dabei um Manufakturstücke, d.h. sie wurden in Ateliers nach festen Schablonen angefertigt und nachher spezifisch bemalt und gefärbt. Das bei allen gleiche Muster beinhaltet ein Wappen, das von einem Hellebardier und einem Musketier umgeben ist, die in einer Säulenhalle mit Gebälk stehen. Das Wappenbild wird jeweils durch das Gemeindewappen von Moosleerau und Muhen (im Nordfenster neben der Empore) resp. Hirschthal und Holziken (im Südfenster neben der Empore) ausgefüllt. Das Holzikerwappen entspricht noch nicht dem heutigen Gemeindewappen, sondern zeigt eine Strasse, die in einen dichten Wald führt. Zudem zeigt die Holziker Scheibe als einzige keinen Musketier, sondern einen Fähnrich, auf dessen Banner der Spruch «TESTANTE VIREBO» (lat.: «offenbar werde ich grünen») steht. Das Wappen ist als Zierwappen gestaltet und verstösst gegen die heraldischen Regeln zur Farbgebung und Stilisierung der Motive. Man vermutet, dass auch weitere Fraktionen der Kirchgemeinde wie Bottenwil oder Staffelbach Kabinettscheiben gestiftet haben könnten, dass diese Scheiben aber in der Folge verkauft worden oder verloren gegangen sind.

Die jüngste Glasmalerei befindet sich im Eingangsbereich des Kirchgemeindehauses. Sie heisst «Wege zur Gemeinschaft» und wurde im Jahr 1975 vom Aarauer Künstler Roland Guignard (1917–2004) angefertigt. Sie besteht aus drei Teilen: Der erste Teil zeigt Formen, die aus verschiedenen Richtungen zur Mitte zielen, und stellt den Ruf in die Nachfolge dar, welcher an Menschen mit unterschiedlicher Herkunft in den verschiedensten Situationen ergeht. In der Mitte sammeln sich die Formen, so wie sich die Berufenen um Jesus Christus als den Herrn aller Menschen sammeln. Danach driften die Formen wieder auseinander. Es erfolgt die Sendung in die Welt, wo jeder Christ an seinem Platz seinen Dienst an Gott verrichtet. Auch die Farbgebung hat ihre Bedeutung. Sie gibt die sommerliche Atmosphäre im Suhrental wieder. Blau steht für den Himmel, Gold für die Kornfelder, Rot für die Dächer der Dörfer und Grün für die Wälder.

Die Kirche Schöftland vereint mit ihrer Glasmalerei Zeugnisse von lokalem Zweck, geht aber mit deren Bedeutung oder der Bekanntheit der Künstler über ihre eigenen Grenzen hinaus und zeigt, was die Existenz von Kirche ausmacht. Sie ist als die Gemeinschaft von Christen im selben Ort immer lokal verankert, zielt jedoch eben dadurch auf die Gemeinschaft aller Menschen, die in Jesus Christus durch den Heiligen Geist erwählt sind, und somit auf die weltweite Kirche.

Raffael Sommerhalder