Die Glasmalereien

Zu den Kostbarkeiten der Kirche auf dem Kirchberg zählen auch die Glasmalereien des bekannten Aarauer Künstlers Felix Hoffmann (1911–1975).

Neben der Turmrekonstruktion wurde 1947 auch der Ersatz der Kirchenfenster beschlossen, und der damalige Kirchenpflegepräsident schlug vor, Felix Hoffmann, der sich bereits mit den Glasmalereien für die Stadtkirche Aarau und das Berner Münster hervorgetan hatte, mit Entwürfen zu Fenstern im Chor und für die Nordwand zu beauftragen, die Hoffmann bereits wenige Monate später vorlegte. Bis zum Abschluss der Gesamtrenovation 1957 wurde der Auftrag an Hoffmann für das östliche Fenster in der Südwand und ein neues Fenster in der Nordwand erweitert und abgeschlossen. «Auf die Einweihung der umfassend renovierten Kirche hin (3. März 1957) war in den drei Chorfenstern und den fünf Fenstern im Schiff der in sich geschlossene und in Gestaltung und Technik einheitliche Scheiben-Zyklus eingebaut.» (Wullschleger)

Sieben Fenster, drei im Chor, fünf im Schiff (je drei an der Nordwand und zwei an der Südwand) hat Felix Hoffmann insgesamt gestaltet. Der Gesamteindruck der acht Fenster ist schlicht und hell: Sie bestehen zu grossen Teilen aus Weissfenstern (Grisaille-Fenster), und der Anteil weisser Gläser innerhalt der einzelnen farbigen Bildszenen verstärkt den graphisch wirkenden Eindruck der Glasmalereien als Ganzes zusätzlich.

Felix Hoffmann: «Die Hochzeit zu Kana». Ausschnit aus einem Fenster der Kirche auf dem Kirchberg

Die acht Fensterflächen sind rautenförmig strukturiert, ein Grossteil von ihnen besteht aus Weissfenstern, in die die jeweiligen biblischen Szenen eingefügt sind. «Der besondere Reiz dieser locker gereihten und thematisch verklammerten Bildfolge beruht in der illustrativ ausgeschmückten Einzelszene, die uns zum betrachtenden Verweilen einlädt.» (Felder) Ein Vergleich mit den wenig früher entstandenen Chorfenstern in der Aarauer Stadtkirche, die in opulenter Farbigkeit gestaltet wurden, ist überraschend und zeigt Hoffmanns Fähigkeiten sowohl im malerisch-farbigen wie im zeichnerisch-graphischen Entwerfen und Umsetzen seiner bzw. der Bildideen seiner jeweiligen Auftraggeber.

Die Fenster haben die Masse 420x80 cm.

Die Glasmalereien in den Masswerken sind alle fast vollfarbig und setzen einen interessanten Kontrapunkt zu den Lanzettfenstern. Besonders gestaltet wurden die beiden Fenster an der Südwand: Darin finden sich je ein Wappen der Gemeinden Biberstein und Küttigen, gehalten von einem Engel. Auch die Glasmalereien in den Masswerken stammen alle von Felix Hoffmann.

Engel mit Küttiger Wappen im Masswerk des rechten Glasfensters an der Südwand

Übersicht über das Bildprogramm der Glasmalereien in Chor und Schiff

Das Bildprogramm der acht Fenster zeigt von links (Nordwand) nach rechts (Südwand):

  • im Schiff (Nordwand – linke Seite vom Eingang aus gesehen): der Sündenfall (im Masswerk), die Vision des Jesaja/Immanuel (die Evangelisten Markus und Lukas im Masswerk) und die Taufe Jesu mit Johannes dem Täufer (die Evangelisten Matthäus und Lukas in den Masswerken)
  • im Chor von links nach rechts: Weihnachten: die Heilige Familie mit dem Engel, (zwei musizierende Engel im Masswerk) Karfreitag: die Kreuzigung und Ostern (zwei Engel, Lamm und Kelch im Masswerk): die Auferstehung (zwei musizierende Engel im Masswerk)
  • im Schiff ( Südwand – rechte Seite vom Eingang aus gesehen) das Mahl in Emmaus (ein Engel mit dem Bibersteiner Wappen im Masswerk) und die Hochzeit zu Kana (ein Engel mit dem Küttiger Wappen im Masswerk)

Der Sündenfall, Fische und Vögel im Masswerk des linken Weissfensters an der Nordwand

Eine Besonderheit stellt das linke Fenster an der Nordwand dar: Es ist ein reines Grisaillenfenster, nur das Masswerk enthält Glasmalereien, es zeigt den Sündenfall, Fische und Vögel.

Die Konzeption der Fenster ist schlicht, die Bildorganisation der Fenster einfach gehalten. Auch die farbig gestalteten biblischen Szenen erscheinen stark graphisch-abstrakt aufgefasst, dies durch die zarte Farbigkeit, die häufigen graphisch betonten, schwarzen Konturlinien der Figuren und die vielen Weissanteile selbst innerhalb der Farbszenerien selber.

Die Bildszenen wirken in vielem altmeisterlich, «statuarisch». Selbst bewegte Elemente und Figuren (so etwa der Engel in der Weihnachtszene oder Johannes der Täufer in der Szene der Taufe Jesu) wirken statisch und dadurch monumentalisiert.

Die Engel und die Heilige Familie im linken Chorfenster (Weihnachtsfenster)

Ein Blick etwa auf die Heilige Familie im linken Chorfenster (Weihnachtsfenster) zeigt Charakteristika von Felix Hoffmanns Darstellungen, eine Mischung aus zurückhaltender Farbgebung mit wenigen kräftigen Farbelementen, aus stark graphisch wirkenden Konturlinien und feinsten Binnenzeichnungen (die Köpfe von Ochs und Esel, die Gesichter und Haare von Maria und Josef, Gesicht und Flügel des Engels).

Felix Hoffmanns Arbeit für die Fenster in dieser Kirche soll anhand von einer ausgewählten Bildszene etwas näher betrachtet werden: Es ist die Vision Jesajas vom Kind Immanuel (Jes. 7,14), die im mittleren der drei Fenster in der Nordwand zu sehen ist.

Das Jesaja-Fenster im mittleren der drei Glasfenster an der Nordwand
Das Jesaja-Fenster im mittleren der drei Glasfenster an der Nordwand

In zwei getrennten, nebeneinander gezeigten Bild-Kompartimenten ist links der Prophet Jesaja zu sehen, rechts davon das in seiner Vision gesehene Kind: «Darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, das junge Weib ist schwanger und gebiert einen Sohn, und sie gibt ihm den Namen Immanuel.» Jesaja sitzt, betend, mit entrücktem Blick nach oben, wie gezeichnet von dem Geschauten. Sein weisses Gesicht wirkt wie eine aufgesetzte, sorgenvolle Maske – ein durch Berufung und Prophetenamt vorzeitig gealterter Mann?

Der von Jesaja in seiner Vision geschaute Immanuel hingegen ist ein Wickelkind, das in einer stilisierten, O-förmigen Krippe – eine Art Krippenmandorla – liegt; diese wird eingerahmt von sieben Engelsfiguren, die das Kind anschauen, beten, singen, sich freuen. Durch die ovale Form der Krippe in Aufsicht (Vogelperspektive) und die fröhlichen Engelsfiguren in zarten Blau- und Grüntönen wirkt diese Szene wie ein heiteres Ornament, auch verspielt und leicht – im starken Kontrast zur strengen, angespannt und einsam wirkenden Gestalt des grossen Propheten, dessen Erdenschwere durch die Massivität seiner Kleidung und seine nackten Füsse zusätzlich betont wird. Der Kontrast zwischen dem alten, strengen Gesicht des Propheten und dem des Kleinkindes ist eindrücklich, selbst wenn die Farblichkeit sehr ähnlich sein mag. Zusammen gesehen wirkt diese Szene gerade in ihrer formalen und inhaltlichen Unterschiedlichkeit besonders eindrücklich und ergreifend.

Wichtig dabei ist auch die Leserichtung der beiden Szenen, die von links nach rechts verläuft. Felix Hoffmann selber hat sich im Zusammenhang mit seinem Fenster für die Kirche Windisch (1967) zu Leserichtung und Links und Rechts im Bild geäussert: «Oder das innere Geschehen: Es gehört zur Ikonographie der Verkündigung an Maria, dass der Engel von links kommt. Er kommt aus der verborgenen Welt Gottes, aus der tiefen Innerlichkeit heraus in die sichtbare und dingliche Welt der Maria.»

Diese Überlegungen bezüglich der Verkündigungs-Ikonographie gelten für die Szene von Jesaja und dem von ihm Geschauten genauso, auch wenn es auf den ersten Blick umgekehrt zu sein scheint: Links die durchaus irdisch aufgefasste Figur des Propheten, rechts das Kind, das aus der göttlichen Sphäre ins Irdische hineingeboren werden wird. Aber auch Jesaja, obschon als erdenschwerer Mensch dargestellt, kommt als Prophet, als Sehender aus Gottes verborgener Welt, die sich ihm in der Vision des Kindes offenbart, das in der Zukunft – ganz real – geboren werden wird. Die Leserichtung von Jesaja zum Kind vollzieht sich also von einem inneren Geschehen (die göttliche Vision Jesajas) zu einem sich in der Zukunft real Erfüllenden (Christi Geburt). Gleichzeitig, wiederum äusserlich gesehen und gedeutet scheint die Leserichtung auf einer weiteren Ebene umgekehrt zu verlaufen: Die als natürlich geltende Generationenabfolge verläuft vom Kind zum älteren Menschen, hier aber ist es umgekehrt, und dies kann auf das aus dem Älteren heraus entstehende Jüngere verweisen. Zudem entspricht der tatsächlichen chronologische Abfolge innerhalb der Bibel – vom Alten zum Neuem Testament – die hier vorgestellte Leserichtung ebenfalls: Von der realen Prophetenfigur, einem alten Mann, zur Geburt eines kleinen, spielerisch und unschuldig aufgefassten Kindes, die sich erst Jahrhunderte nach dem von Jesaja Geschauten ereignen wird.

Eine so einfach wirkende Szene, bestehend aus zwei ebenfalls einfachen Bildkompartimenten – und so komplexe Deutungsmöglichkeiten: eine der vielen Qualitäten, die das gesamte Werk des Künstlers Felix Hoffmann ausmachen und charakterisieren.

Den Propheten Jesaja hat Hoffmann sowohl im Jesajafenster des Berner Münsters (1947) als auch im Prophetenfenster der Stadtkirche Aarau (1953) gezeigt.

Ein Vergleich mit den nur wenige Jahre früher entstandenen Chorfenstern der nahen Stadtkirche Aarau ist aufschlussreich und zeigt unter anderem auch, wie virtuos Felix Hoffmann im Interesse des künstlerischen Gesamteindrucks auf bestehende architektonisch Gegebenheiten, Wünsche – und nicht zuletzt auch auf das Budget! – seiner Auftraggeber eingehen konnte.

Der «Felix Hoffmann-Weg» der Reformierten Landeskirche Aargau wurde am 12. April 2014 in der Kirche Kirchberg (Küttigen) feierlich eröffnet, setzte sich in der Stadtkirche Aarau und wurde in der Kirche Suhr abgeschlossen.

Mehr über die Eröffnungsveranstaltung ist auf dem Internetauftritt der Reformierten Landeskirche Aargau zu finden.

Das Referat zu Felix Hoffmanns Glasmalereien in der Kirche auf dem Kirchberg zum Downloaden:
«Felix Hoffmanns Glasmalereien auf dem Kirchberg» (PDF, 29 KB)

Text © Barbara Tobler